Pressemeldung

Im Rollstuhl zur Übungsleiter-Lizenz

Martin Honcu vom VSG Darmstadt schließt Ausbildung ab

Martin Honcu hat keine sportlichen Höchstleistungen erzielt und doch ein Stück hessische Sportgeschichte geschrieben: Als erste Person im Rollstuhl hat er am Wochenende erfolgreich die Lizenzausbildung zum Übungsleiter C Erwachsene/Ältere beim Landessportbund Hessen e.V. (lsb h) abgeschlossen. „Wenn über Inklusion im Sport gesprochen wird, geht es häufig darum, Sportangebote für Menschen mit Behinderung zu öffnen. Martin Honcu hat bewiesen, dass noch mehr möglich ist, dass Inklusion auch in unseren Aus- und Fortbildungen gelebt werden kann“, sagt Dr. Frank Obst, für Bildung zuständiger Geschäftsbereichsleiter des lsb h.

Dafür hat der Landessportbund das Ausbildungskonzept entsprechend angepasst. Das war naturgemäß etwas schwieriger als bei der Vereinsmanager C-Ausbildung, die Honcu, Mitglied im erweiterten Vorstand des VSG Darmstadt, bereits 2022 beim lsb h abgelegt hatte. „120 Lerneinheiten so zu gestalten, dass die Bedarfe eines Rollstuhlfahrers stets berücksichtigt werden, war eine Herausforderung – aber eine, von der sowohl ich als auch alle 15 Teilnehmenden nachhaltig profitiert haben“, sagt Sportwissenschaftler Tobias Dauner, der den auf sieben Wochenenden verteilten Lehrgang geleitet hat.

Honcu selbst sieht es ähnlich: „Die Erfahrungen, die man in so einem inklusiven Lehrgang macht, sind unbezahlbar und sehr wertvoll für die spätere Arbeit im eigenen Verein.“ Berührungsängste seien aus seiner Sicht schnell abgebaut gewesen. Auch, weil Honcu sehr offen mit seiner Behinderung umgeht: Seit zehn Jahren ist er an Multiple Sklerose (MS) erkrankt. Weil sie bei jedem anders verläuft, wird sie auch „Krankheit der 1.000 Gesichter“ genannt. Bei Honcu sind vor allem die Beine durch starke Spastiken betroffen. Laufen ist nicht mehr möglich, der Rollstuhl dient als Fortbewegungsmittel, um sich zeit- und kraftsparend fortzubewegen.

Basierend darauf hatten alle angehenden Übungsleitenden bei ihren Lehrproben die Aufgabe, eine Übungsstunde so zu gestalten, dass auch Rollstuhlfahrer bestmögliche Trainingsergebnisse erzielen können. Honcu selbst lernte in der Lizenzausbildung vor allem, wie er auch solche Lerninhalte vermitteln kann, die er selbst nicht vormachen kann. Schließlich will der lizenzierte Übungsleiter künftig selbst als Trainer aktiv werden: Aus der inklusiven Gruppe des VSG Darmstadt, in der er seit vier Jahren Rollstuhl-Handball spielt, möchte er eine Mannschaft formen, die ab 2024 am Ligabetrieb von Rollstuhlhandball Deutschland (RHD) teilnehmen soll.

Generell wünscht sich Honcu, dass sich viel mehr Vereine für das Thema Inklusion öffnen. „Es hat sich in den letzten Jahren schon sehr viel getan, aber wir sind noch lange nicht am Ende angelangt. Von Inklusion darf nicht nur geredet werden, sie muss gelebt werden. Dass dies hervorragend funktioniert, sieht man nicht nur beim VSG Darmstadt, sondern auch an

diesem Lizenzlehrgang.“ Für Frank Obst und Tobias Dauner steht deshalb fest, dass es nicht bei der Premiere bleiben soll: „Wir freuen uns, wenn weitere Personen mit Beeinträchtigung sich für eine Ausbildung beim Landessportbund entscheiden.“ Die nötigen Anpassungen hätten dabei keine Auswirkungen auf die hohen Qualitätsstandards der Lizenzausbildungen, die vom Deutschen Olympischen Sportbund vorgegeben werden. „Ganz im Gegenteil: Die Ausbildung gewinnt durch den inklusiven Charakter weiter an Qualität“, so Obst.

So wurde in die nun abgeschlossene Ausbildung im Block Seniorensport etwa eine Einheit im Rollstuhl integriert. 15 Rollstühle hatte der lsb h dafür angemietet. „Darin Sport zu treiben oder gar mit Bällen zu trainieren, haben viele Teilnehmende als etwas Neues und zugleich Großartiges beschrieben“, erläutert Dauner. Bei allen Herausforderungen sei dabei auch der Spaß nicht zu kurz gekommen und zum Abschluss absolvierten alle Teilnehmenden noch die Anforderungen des Sportabzeichens des Hessischen Behinderten- und Rehabilitations-Sportverbandes (HBRS).

Bei dieser besonderen Einheit wurden die Teilnehmenden auch darauf aufmerksam, dass selbst kleine Unebenheiten für Rollstuhlfahrer*innen eine echte Behinderung sein können. „Bauliche Hindernisse und unebene Bodenbeläge sind aber der Alltag eines Rollstuhlfahrers“, so Honcu. Auch deshalb findet er es gut, wenn Inklusion in Ausbildungen nun eine größere Rolle spielt: „Je mehr Menschen sich mit dem Thema befassen, desto mehr werden die Bedarfe von Menschen mit Behinderung im Verein mitgedacht. Desto eher wird Barrierefreiheit als Ziel definiert – baulich und in allen anderen Bereichen.“

 


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